Da gibt es irgendwie keinen Weg raus

Stu Mead im Gespräch mit Sarah Diehl

erschienen im Kompendium Brüste kriegen (Hrsg. Sarah Diehl), Verbrecher Verlag Berlin, 2004
Sarah Diehl: Was hast du gemalt, bevor du anfingst junge Mädchen zu malen?

 

Stu Mead: Ich malte mehr surreale Bilder, dunkle traumhafte Geschichten. Ich war sehr beeinflusst von Leuten wie Otto Dix und der Erzählweise von James Joyce. Ich malte Häuser, in die man reinschauen und den Personen beim Leben zusehen kann. Was mich damals sehr beschäftigte, war die Krankheit meines Vaters, ich malte z.B. ein Bordell mit vielen Frauen, wo gleichzeitig ein alter Mann zur Tür reinkommt mit seiner Tasche, als würde er gerade von der Arbeit nach Hause kommen, der dort total deplaziert war. Die Situation war so komisch sexualisiert, so als ob Sexualität immer Flucht sei.

 

SD: Und du bringst in den Bildern immer beides zusammen, das Mittel, mit dem man fliehen kann, und die Quelle des Unbehagens oder der Angst?

 

SM: Ja.

 

SD: Wann hast du angefangen, die Mädchen zu malen?

 

SM: Die waren von Anfang an Thema bei mir, aber ich hab das eher in meinen Skizzenblock gelassen und keine Bilder daraus gemacht. Damit habe ich erst Anfang der 90er Jahre angefangen. Ein Freund wollte mich an eine Galerie in Berlin vermitteln, und weil es so weit weg war von Minneapolis, wo ich her komme, dachte ich, ich könnte etwas Neues anfangen. Also schickte ich ihnen Bilder mit den Mädchen, aber sie mochten meine älteren Arbeiten mehr. Sie hatten auch etwas Angst von den Reaktionen der Passanten, da die Galerie ein großes Schaufenster hatte. Sie verwiesen mich aber auf die Galerie endart in Berlin, die dafür eher geeignet war. Und so zeigte ich die Bilder dieser Art erst hier und bekam gute Reaktionen. Mir war immer klar, dass ich mich damit in Gefahr begebe, dass man glaubt, ich sei pädophil.

 

SD: Hast du solche Vorwürfe schon gehört?

 

SM: Bisher nur in der Ausstellung im Kunstamt Bethanien in Berlin, und in Minnesota beschwerte sich einmal eine Frau in einer Ausstellung.

 

SD: Hast du mit der Frau geredet?

 

SM: Nein.

 

SD: Ich denke eigentlich, ich bin sensibel für Machtverhältnisse in der Darstellung von Geschlecht, und so war ich über mich selbst überrascht, warum mir das Problematische an deinen Bildern zunächst nicht auffiel. Ich hab sie von Anfang an gemocht, habe mittlerweile aber eine sehr ambivalente Haltung dazu. Da spielen mehrere Dinge zusammen, warum ich mich von ihnen so angesprochen fühle. 1. Wecken junge Mädchen, wie in deinen Bildern, die Sehnsucht, so schön und rein zu sein wie sie. 2. Will man diese Schönheit und Reinheit besitzen und kontrollieren. 3. Ist man von dem Zwang, so sein zu müssen, so angekotzt, dass man sie kaputt machen will, und 4. Sieht man ihnen gerne dabei zu, dass sie den Mut aufbringen, ihre Schönheit und Reinheit selbst kaputt zu machen. Ich hatte das Gefühl, ich konnte mich mit ihnen identifizieren, und mich würde sehr interessieren, inwieweit du dich mit den Mädchen identifizierst. Ich kann mir vorstellen, dass du dich in der Rolle, die man dir zuspricht ziemlich beschränkt fühlst, weil du körperlich behindert bist. Die Mädchen, die du malst, tun Dinge, die dir als behinderter Mensch abgesprochen werden.

 

SM: Oh, das war jetzt ne Menge. Klar würde ich gerne solch eine Schönheit besitzen und selbst sein. Ich meine, ich wäre gerne ein gutaussehender Mann, ich will mein Geschlecht nicht unbedingt verändern. Gleichzeitig sind die Mädchen fast gelangweilt, weil sie so perfekt sind.

 

SD: Du meinst, weil sie diejenigen sind, die von allen begehrt werden, haben sie selbst keine Sehnsüchte mehr? Du brauchst nichts Besonderes mehr, weil du selbst das Besondere bist?

 

SM: Ja. Außerdem geht es mehr um Infantilität von weiblichen Menschen, von mir zu Kindern gemacht.

 

SD: Was bedeutet in dem Zusammenhang infantil?

 

SM: Unterentwickelte Sexualität.

 

SD:Wieso unterentwickelt? Schließlich machen sie ziemlich extreme Sachen. Oder meinst du mit infantil frei von gesellschaftlichem Druck?

 

SM: Die Bilder haben mit der Lebensrealität von Menschen nichts zu tun. Die Menschen in den Bildern können es sich erlauben, unreif zu bleiben, sie hängen nur rum, haben keine Sorgen. Ich wünschte, ich würde das selbst verstehen. Kannst du mir noch ein paar Fragen stellen?

 

SD: Warum müssen es Mädchen sein? Du könntest genauso gut diese idealisierten griechischen Jünglinge malen. Die hängen auch nur rum und haben Sex.

 

SM: Vielleicht, weil ich auf Männer eifersüchtig bin. Ich finde es nicht interessant, Männer zu malen, in meinen Bildern werden sie immer zu lächerlichen Figuren, oder sie sind satanisch. Die Mädchen sind realistischer, ich sehe mir Frauen auch genauer an als Männer. Ich malte mal zwei Mädchen im Badezimmer, was ich aus der Erinnerung malte, wie ich mal mit einem anderen Jungen im Badezimmer war, aber ich finde es halt interessanter, Mädchen zu malen. Ich habe angefangen, Portraits zu malen, weil ich mich jetzt mehr dafür, wie Frauen wirklich aussehen, interessiere.

 

SD: Wie kommt diese Entwicklung?

 

SM: Na ja, es ist eine nette Gesellschaft, wenn man jemanden portraitiert. Es ist eine Herausforderung, es bringt eine neue Qualität in meine Arbeit, mit der Realität umzugehen.

 

SD: Malst du auch Männer?

 

SM: Ich habe einen Mann gemalt, und es fiel mir sehr schwer. Ich werde es auch wieder versuchen, aber ich werde am liebsten junge Frauen malen. Es hat immer etwas Eskapistisches.

 

SD: Weil du das Gefühl hast, dass du in der Realität keinen Platz hast und in deiner Identitätssuche noch mehr eingeschränkt wirst als andere?

 

SM: Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Wenn du körperlich deformiert bist, hast du weniger Möglichkeiten, diesen sexuellen Teil von dir zu erforschen. Ich hatte schon immer Angst vor Mädchen, in der ersten Klasse mochte ein Mädchen mich sehr und als ich das realisierte, war das für mich total schockierend und ich mochte sie dann nicht mehr. Es gibt ja Frauen, die Männer mögen, die hilflos sind, aber für die bin vielleicht nicht behindert genug. Ich sitze ja nicht im Rollstuhl oder so. Obwohl die Art, wie ich gehe, schon extrem komisch ist. Das spielt sich aber eher in meinem Unterbewusstsein ab. Ich glaube, ich bringe viel Lebensenergie auf, um eine Beschäftigung mit mir selbst zu umgehen.

 

SD: Bist du von deinem Umfeld entmutigt worden, deinen Körper zu mögen?

 

SM: Die Leute auf der Straße sehen dich an, als ob du komisch bist und so lernst du, dass du komisch wärst. Das ist sehr kompliziert, sehr schwer, da raus zu kommen. Vielleicht male ich so viele Kinder, weil ich Angst vor ihrer Ehrlichkeit habe. Die Jungs haben auf mich gezeigt und sich über mich lustig gemacht, und die Mädchen sind kreischend vor mir weggelaufen. Aber lass uns lieber beim Thema des Buches bleiben.

 

SD: Warum, glaubst du, mögen Frauen deine Arbeit?

 

SM: Da gibt es wohl etwas, was sie sehr beschäftigt, etwas, was sie vorher noch nicht so gesehen haben. Vielleicht etwas, das ihre Situation anerkennt.

 

SD: Ich denke, es befreit einen von vielen schlechten Erfahrungen bezüglich Scham, und dass man die eigene Sexualität verstecken musste. Die Mädchen sind so aktiv und frei, so wie man selber gerne gewesen wäre.

 

SM: Ja, die Frage ist nur, warum das so bei mir rauskommt.

 

SD: Glaubst du, dass Mädchen Fantasien haben, wie in deinen Bildern, oder hast du darüber nie nachgedacht, was eigentlich in jungen Mädchen wirklich vor sich geht?

 

SM: Es gibt diese Schriftstellerin, Anais Nin, die viel mit Sartre und Beauvoir zusammenhing, die dieses autobiographische Bekenntnis über ihre eigenen sexuellen Fantasien schrieb. Sie fing mit ihrer Mädchenzeit an, und das war so leidenschaftlich. Ich interessiere mich auch sehr für andere Malerinnen, die Mädchen malen, wie Beth Love, Georganna Deen, Alexa Horochowski oder Jenny Schmid. Das ist alles so eindringlich. Meine Pubertät hingegen war eher unangenehm, also es war ein Alptraum, z.B. mitten im Geschichtsunterricht eine Erektion zu haben. Jedenfalls, als ich das las, konnte ich damit sehr viel anfangen und fühlte mich inspiriert. Auch meine erste Freundin, Mary, erzählte mir heftige Sachen, was sie gemacht hat als sie jung war. Ich hatte auch mal das Erlebnis, dass ich mit einem Mädchen allein war und wir ausmachten, dass sie mir ihre Brüste zeigte und ich ihr meinen Penis. Sie hat es getan, ich meine, sie hatte natürlich noch keine Brüste, sie hatte Brustwarzen genau so wie ich, aber der Gedanke, dass sie mal zu weiblichen Brüsten werden, war schon so aufregend. Ich wäre auch gar nicht darauf gekommen, danach zu fragen, ob ich ihre Vagina sehen könnte, ich wusste gar nicht, was das ist. Ich glaube, ich wäre schockiert gewesen. Ich denke, ich möchte durch meine Bilder einen Art sexuellen Kontakt mit dem Betrachter haben. Um sie anzutörnen, ohne ihnen körperlich nahe zu sein. Deshalb ist es mir wichtig, dass Frauen meine Arbeit mögen.

 

SD: Aber warum bieten junge Mädchen eine so hervorragende Projektionsfläche für das alles?

 

SM: Das bringt mich auf einen Gedanken: Manchmal glaube ich, ich habe etwas von einem Transvestiten. Eine lesbische Freundin von mir meinte mal, ich sei eine männliche Lesbe. Na ja, jedenfalls, kleine Mädchen sind gerade ein populäres Thema in der Kunst. Diese Idee von Jungfräulichkeit und Reinheit ist in der Kunstszene grad ein großes Thema, es ist ein Symbol für etwas in unserer Gesellschaft, das wir verloren haben. Die Leute haben keinen Gott mehr, den sie teilen können, die Sicherheit, was gut und böse und Sünde ist, gibt es nicht mehr. Kleine Mädchen repräsentieren die Sehnsucht nach Unschuld.

 

SD: Warum nicht Jungs?

 

SM: Junge Mädchen sind sugar and spice and everything nice, Jungs sind snakes and snails and puppydogs tails. Das ist so ein Spruch. Ein kultureller Mythos. In Horrorfilmen sind es oft kleine Mädchen, die gegen das Böse kämpfen.

 

SD: Wie in Dario Agento Filmen, wo dann auch noch ihre überdimensional betonte Unschuld gerne mal mit Vergewaltigungsszenarien konterkariert wird. Argento hat in manchen Filmen auch viel Vergnügen daran, Mädchen in weißen Kleidern grauenvoll abschlachten zu lassen. Wie auch immer. Jungs wird aber auch erlaubt, mehr zu machen als Mädchen, weil man um die Gefahr des Verlusts ihrer Reinheit nicht so ein Gedöns macht. Jungs beschmutzen, Mädchen werden beschmutzt, egal wer hier wen verführt hat.

 

SM: Das ist doch so was Altertümliches: Sie müssen die genetische Reinheit ihrer Nation gewährleisten.

 

SD: Mädchen müssen die Reproduktion der Gesellschaft gewährleisten, und bergen immer die Gefahr, zur falschen Zeit und vom Falschen schwanger zu werden, deshalb wird auf ihre Unschuld so viel mehr Wert gelegt als bei Jungs. Deshalb ist die Betonung des Schlampendaseins für Frauen ja auch so befreiend, weil es einen von der gesellschaftlichen Verantwortung, die Mädchen aufgebürdet wird, frei macht.

 

SM: Das Bild, wo das Mädchen im Wald scheißt, das erinnert mich auch an analen Sex, ist ja auch was dreckiges. Das Mädchen hat dann einen Penis aus Scheiße. Macht das Sinn? Wenn ich ein Mädchen beim Pinkeln male, kann das auch als Zeichen gesehen werden, dass sie einen Orgasmus hat.

 

SD: Du meinst, wie eine weibliche Ejakulation?

 

SM: Ja. Bei Männern wird das immer so dramatisch dargestellt, wenn sie kommen, und das wollte ich auch bei den Bildern der Mädchen haben. Was mich wohl auch beeinflusst hat, war, bis ich drei war, ein Zimmer mit meiner zwölf Jahre älteren Schwester teilen musste. Ich hörte all ihre Platten mit, sie hat heimlich geraucht, wobei ich sie beobachtet hab. Irgendwann wollte sie mich nicht mehr im Zimmer haben, was mich geärgert hat.

 

SD: Hast du sie mal gefragt, was sie davon hielt, dass ein Junge in ihrem Zimmer war, während sie in die Pubertät kam?

 

SM: Leider nicht. Das sollte ich aber mal machen.

 

SD: Was hält sie von den Bildern, die du jetzt malst?

 

SM: Sie kennt nur meine alten Arbeiten. Die neuen Sachen hab ich meiner Familie nicht gezeigt. Ich glaube, sie würden sich Sorgen machen, warum ich jetzt so was mache.

 

SD: Warum, glaubst du, ist die Frau, sexualisiert oder nicht, immer das Objekt, das gezeigt wird und über das verhandelt wird? Wie in deinen Bildern. Warum ist es immer die Frau, an der die Gesellschaft ihre Probleme mit Sexualität bewusst oder unbewusst verhandeln?

 

SM: Ja, Männer- wie Frauenmagazine sind fast alle nur mit Frauen voll. Aber die Idee von Schönheit wird nun mal an Frauen festgemacht, so dass weibliche Schönheit eine fetischisierte Ikone ist.

 

SD: Hast du bei deinen Bildern über den Druck, diese Schönheit repräsentieren zu müssen, nachgedacht, unter dem Frauen stehen? Schließlich kreierst du auch keinen Raum für weniger schöne Mädchen.

 

SM: Ja, und das ist vielleicht auch ein Grund dafür, warumich mich jetzt so sehr für Portraits interessiere. Aber dennoch interessiert es mich immer mehr, mich mit Schönheit auseinander zu setzen. Ich meine, überall wo du hinsiehst, sind diese Schönheiten auf Plakaten. Für Frauen muss das wirklich hart und deprimierend sein, egal wie sie aussehen.

 

SD: Gerade für Teenager muss das die Hölle sein. Sie kontrollieren sich selbst, ob sie den Maßstäben entsprechen, da gibt es kein subversives Element des sich neu Erfindens mehr. Vielleicht mögen Frauen deine Bilder auch, weil diese Mädchen so verdorben und gelangweilt sind und sich über so was keine Gedanken machen müssen. Es ist wohl auch eine Art Eskapismus für Frauen, deine Bilder zu sehen. Was hältst du von Mangas, wo junge Mädchen z. B. misshandelt werden, die als nur passive Opfer dargestellt werden?

 

SM: Ich mag die nicht. Ich habe mich mal mit einem japanischen Freund darüber unterhalten, der meinte, dass es in der japanischen Kultur den Mädchen nicht erlaubt sei, sexuell offensiver zu sein, und deshalb die Mädchen als willenlose Opfer gezeigt werden müssten, damit die Frauen, die das sehen, sich nicht schämen müssen. Ich weiß nicht, ob das stimmt oder ob das nur eine Rechtfertigungsstrategie ist. Aber ich glaube, diese unterdrückte Gewalt in Japan ist eine interessante Sache. Die Leute sind so höflich und angepasst. Aber in ihren Filmen und Comics sind sie so unglaublich gewalttätig. Ich mag

Pornos jedenfalls nur dann, wenn es offensichtlich ist, dass die Frauen

ihren Spaß haben.

 

SD: Was ist mit dem Bild, wo ein alter hässlicher Mann ein Mädchen von hinten fickt, während er auf ihr liegt, und sie dem Zuschauer die Zunge rausstreckt.

 

SM: Ich hatte nur eine Skizze davon, und ein Freund meinte, ich solle daraus ein Bild machen, sonst mache ich so was Gewalttätiges nicht. Eigentlich bin ich immer dafür, zu zeigen, welche Bilder man im Kopf hat, anstatt sie zu verbergen, aber ich kann nicht wirklich sagen, dass es mir leichtfällt, das zu rechtfertigen, ich finde es auch verstörend, was da so aus mir herauskommt.

 

SD: Hast du mal darüber nachgedacht, welche Verantwortung du mit diesen Bildern übernimmst? Ich meine, du nimmst diese Gruppe, Mädchen, deren Erfahrung und Wünsche du nicht teilst und benutzt ihr Image, um deine Sicht darzustellen. Das scheint für dich ein risikoloses Unterfangen zu sein, weil du außen vor bist und du dich auch so beschreibst. Was, glaubst du, denken Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, von deinen Bildern?

 

SM: Darüber hab ich auch schon nachgedacht, das ist schwierig. Ich hab festgestellt, dass Leute, die Eltern sind, viel mehr Probleme mit den Bildern haben, als andere. Das regt mich auch auf, dass es Frauen gibt, die meine Bilder verletzten können. Aber da gibt es irgendwie keinen Weg raus. Und tatsächlich will ich Sachen machen, die Menschen mögen können und die sie nicht provozieren oder verletzen. Du machst eine Tür in dir auf, und raus kommt unterdrückte Sexualität. Ich will Kunst machen, die Leute berührt.

 

SD: Glaubst du, dass sich eher Männer oder Frauen von deinen Bildern angesprochen fühlen?

 

SM: Meine Fans sind weiblich und männlich, genauso wie die Leute, die sich über mich aufregen. Ich will niemanden ausschließen, ich hätte gerne, dass alle etwas aus meinen Bildern ziehen können. Aber ich weiß auch, dass das für Männer tendenziell weniger schwierig ist, weil ich ja als Mann die Bilder male. Wenn jemand meine Bilder mag, hab ich das Gefühl, sie sehen etwas, was ich selbst nicht verstanden habe, aber was dennoch da drin ist. Darauf bin ich stolz. Das ist für mich ein Mysterium. Als ich ein Kind war, haben mich Ärzte auf ein Podest gestellt und haben Fotos von mir gemacht, für ihre medizinische Forschung. Ich fand das furchtbar, da so nackt angestarrt zu werden. Ich glaube, ich projiziere diese Erfahrung auf Frauen, weil sie da kulturell besser hin passt. Aber weil ich ein Mann bin, wird meine Motivation mehr hinterfragt.

 

SD: Ich wünschte, man könnte sich die Diskussion sparen, ob du als Mann das Recht hast, solche Bilder zu malen, aber so lange die gesellschaftlichen Verhältnisse sind wie sie sind, kann man das nicht. So einfach ist das mit dem Queer-sein eben nicht. Findest du es nervig, dass du deiner Identität als Mann nicht entfliehen kannst, und deshalb mit Vorwürfen wie Pädophilie konfrontierst wirst?

 

SM: Das ist aber auch meine Schuld. Ich habe diesen Weg gewählt, ich habe damit um den Ärger gebeten.

 

SD: Es gibt sehr viel mehr oder weniger versteckte sexualisierte Mädchendarstellungen z.B. in der Werbung, in Musikvideos etc., die ganzen Sängerinnen, deren junges Alter betont wird und deren Videos fast pornografisch sind, was als normal akzeptiert wird. Warum, glaubst du, machen die Leute da einen Unterschied?

 

SM: Einerseits gibt es diese Schönheitswettbewerbe, wo Mädchen schön und oft sexy zurecht gemacht werden, und andererseits gibt es diese Paranoia, dass Mädchen von Fremden verführt und im Wald missbraucht werden. Natürlich basiert das auf realen Begebenheiten, aber darüber wurde eine richtige Paranoia kultiviert. Gleichzeitig werden Mädchen dazu aufgefordert, sich sexy anzuziehen.

 

SD: Sie sind die kleine Kostbarkeit, die präsentiert und gleichzeitig vor den Blicken und vor dem Zugriff anderer geschützt werden müssen. Warum machen die Leute den Unterschied zwischen deinen Bildern und Britney Spears?

 

SM: Anscheinend repräsentieren meine Bilder eine Welt, die eher mit Kriminalität in Verbindung gebracht wird. Sie sind nicht in erster Linie einfach sexy, sie zeigen viel mehr. Jedenfalls bringen meine Bilder das Publikum dazu, überhaupt über Mädchen und Sex nachzudenken, und das allein ist so heikel, dass es, egal worum es genau geht, die Leute oft aufregt. Diese Schönheitswettbewerbe oder die Mädchen, die obsessiv wie Britney aussehen wollen, haben in der Gesellschaft keinen schlechten Ruf, sie sagen, es ginge ja nur um Schönheit.

 

SD: Die Begierden der Anderen, die dahinter stecken, werden dabei nicht thematisiert. Du thematisierst sie aber, und das erscheint so skandalös. Glaubst du, das liegt auch an dem Medium, das du gewählt hast?

 

SM: Im Buch Lolita wird beschrieben, wie Humbert sich auf dem Pausenhof einer Schule von Lolita einen runterholen lässt, während es zur Pause läutet, und alle Kinder aus der Schule stürmen. Er macht wirklich grausliche Sachen, die da alle beschrieben sind. Aber das ist Literatur, das Buch liest du allein, dann machst du es zu und stellst es in dein Regal, es starrt dir nicht ins Gesicht wie meine Bilder. Meine Bilder hängen da wie eine religiöse Ikone, die man entweder anbeten oder hassen muss, und starren dich an. Deshalb wirken sie gefährlicher.

 

SD: Und wie steht's um die Mädchen, die sich selbst zerstören, weil sie angekotzt davon sind, dass sie rein und schön sein müssen? Ich glaube, das ist etwas, was besonders Frauen an deinen Bilden so gefällt, mir jedenfalls.

 

SM: Wie machen sie das?

 

SD: Sie benutzen ihren Körper, um die Erwachsenen zu schockieren, indem sie ihren Rock hochheben und sich nicht dafür schämen, was drunter ist. Sie ignorieren einfach, dass man ihnen doch eigentlich beigebracht hat, sich zu schämen. Die Mädchen, die du malst, sind zwar alle wunderschön, aber sie trauen sich, hässliche Dinge zu tun. Sie scheißen den Erwachsenen auf den Tisch.

 

SM: Ja, ich verstehe das auch nicht ganz. Ich bin eine Zeit lang mal zum Psychologen gegangen, und der meinte, dass die Mädchen auf meine Arbeit und meine Welt scheißen. Diese Bilder sind meine Welt und die Mädchen scheren sich da nicht drum, sie beschimpfen mich damit, auch weil ich mich ihrer Images bemächtige, weil ich sie ja male.

 

SD: Also, was sie kaputt machen wollen, hat mehr mit dir zu tun und nicht mit ihnen?

 

SM: Das hat mein Psychologe auch gesagt. Im Bezug auf mich könnte das sein, dass die Mädchen dann mich widerspiegeln. Das ist vielleicht meine Rache an der Schönheit.

 

SD: Dann verstehe ich aber nicht, warum du nicht weniger hübsche Mädchen malst? Ein hässliches Mädchen, das sich nicht drum schert, hässlich zu sein, das jenseits des gesellschaftlichen Anspruchs auf seinen Körper denkt und handelt.

 

SM: Ich kann durch dieses Fetischisieren dieser Schönheit, die ich dann kaputt mache, fliehen. Als mein Vater so krank war und ich anfing diese Bilder mit dem Leid und den Strippern zu malen, habe ich gesehen, dass du, wenn du vor etwas fliehen willst, immer dahin zurück kommst, wovor du eigentlich fliehen wolltest. Da ist immer eine Menge Wut in meinen Bildern. Die Mädchen, die ich male, haben ja nicht so viel mit der Realität zu tun, sie repräsentieren diese Mädchen, vor denen man als Junge Angst hat, weil sie so perfekt sind. Hässliche Mädchen repräsentieren etwa anderes. Das ist natürlich egoistisch von mir. Wäre ich ein reiferer Künstler und würde mehr auf die verschiedenen Stimmen in mir hören, würde ich das wahrscheinlich machen.

 

SD:Wie sieht's aus mit den Männerfiguren? Die sind immer ekelhaft, gefährliche Monster oder geile alte Säcke. Warum kein schöner Jüngling, mit dem die Mädchen Sachen machen können, die immer noch hässlich genug sind? Hast du kein Interesse, mal eine liebevolle Beziehung zu malen?

 

SM: Ich habe nicht so viel Erfahrung mit schönen Liebesbeziehungen, ein paar, aber nicht so viele. Eigentlich würde ich mal gerne ein romantisches Bild machen. Die Typen sind totale Witzfiguren, die sind nicht real, sie reflektieren vielleicht was über mich, aber das sind total verzerrte Bilder. Um davon ein bisschen weg zu kommen, habe ich angefangen, die Bilder mit den Tieren zu machen, wo die Mädchen in einem dreckigen Stall mit Schweinen sind oder mit dem Hund, der sich leckt. Die Typen sind aber auch so hässlich, weil ich Probleme habe, sie zu zeichnen. Ich muss mir vorher Fotos von Männern ansehen, um sie malen zu können, und ich bin an deren realistischer Darstellung halt auch nicht so interessiert. Als visueller Künstler, vielleicht ist das bei Schriftstellern auch so, fällt es schwer, den eigenen Körper darzustellen. Mir fällt es schwer Hände und Füße zu malen, wohl auch weil meine Hände und Füße anders sind als normal. Ich habe kein Gefühl dafür, wie sie normal aussehen. Bei den Mädchen gelingt mir das etwas besser, aber bei den Typen nicht.

 

SD: Mein Lieblingsbild ist das, wo ein Mädchen mit einem alten nachdenklichen Mann auf einer Parkbank redet und ihren Rock hochhebt, um dem Mann zu zeigen, dass sie einen Penis hat. Es ist so eine nette Erzählsituation. Kannst dazu was sagen?

 

SM: Damals malte ich Karikaturen von mir selbst als Mädchen. Damit wollte ich die Bedeutung hinterfragen, die hinter dieser obsessiven Thematisierung von Mädchen steckt. War es überhaupt von Bedeutung, dass es Mädchen waren, oder könnten es auch Jungs in Mädchenkleidern sein? In diesem Bild zeigte das Mädchen dem alten Mann ursprünglich ihre Pussy. Aber als ich mich dafür entschied, daraus einen Penis zu machen, wurde das interessanter. Ich hab mich gefragt, ob das ein Wunschdenken von mir ist. Ein schönes Mädchen zu sein und meinen Penis zu behalten. Der alte Mann sieht ein wenig wie mein Vater aus. Was bedeutet das wohl? Er erinnert auch an Henry Darger, ein Outsider, der oft Mädchen malte, denen er mit Bleistift dann einen Penis drankritzelte. Vielleicht hat er niemals weibliche Genitalien gesehen. Vielleicht konnte er sich auch nur mit seinen Heldinnen identifizieren, wenn sie mit ihm das Geschlecht teilten. Er verbrachte seine Kindheit in einem üblen Waisenhaus in Chicago und wurde dort wegen Mastubation bestraft. Später arbeitete er dann als Hausmeister in einer Schule. Seine Bilder wurden erst nach seinem Tod entdeckt.

Sarah Diehl, geb. 1978, Diplom-Museologin, studiert derzeit (2006) Afrikawissenschaften und Gender Studies in Berlin. Sie ist Herausgeberin diverser Anthologien, u.a. Brüste kriegen (2004) und Deproduktion – Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext (2007) und veröffentlicht journalistische Arbeiten und Kurzgeschichten in verschiedenen Publikationen.